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Zwischen Kunst, Korrekturen und Kleenex – Eine Abiturfeier, die alles hatte

Ein persönlicher Rückblick von einer Lehrerin, Mutter und – ganz ehrlich – ein bisschen erschöpften Akteurin und Beobachterin.

Zwanzig Prüfungen mitgefiebert, zwei eigene Kunst-Abituraufgaben entworfen, 5. PK-Themen genehmigt oder zunächst abgelehnt, eine Kunstausstellung in Tegel organisiert, auf die ich wirklich stolz bin, zwei Zeugnisfeiern überlebt, zwei Abibälle beschuht. Dazu einen Sohn im Abitur – an einer anderen Schule – den ich wochenlang durch Motivationstiefs, Strukturkrisen und die Geheimnisse wissenschaftlichen Arbeitens in völlig fremden Fächern navigieren durfte. Kurz: Ich fühlte mich bereit für alles. Nur nicht für diesen Abend.

Aber am 4. Juli war es soweit: Der elegante Ernst-Reuter-Saal im tadellos renovierten Fifties-Charme öffnete sich für die feierliche Übergabe der Abiturzeugnisse. Und mit ihm auch die Schleusen der Emotionen.

Eingerahmt von einem außergewöhnlich abwechslungsreichen Programm wurde schnell klar: Das hier war kein Pflichttermin, das war ein Fest der Gemeinschaft. Schon das Schulorchester bewies mit dem Solospiel von Abiturient Jona, dass wir musikalisch ganz oben mitspielen. Die dialogische Moderation zwischen dem Abiturienten Johannes und unserem Schulleiter Herrn Roth war dabei nicht nur spontan, sondern auch durchweg lebendig – ein roter Faden durch einen rund vierstündigen, aber niemals langweiligen Abend.

Ein Höhepunkt jagte den nächsten:

Vier mutige Fünftklässler:innen brachten auf humorvolle und erstaunlich kluge und selbstbewusste Weise ihre Bewunderung für den langen Weg bis zum Abitur zum Ausdruck – sie standen da, wo die Großen mal angefangen haben. Außerdem traten auf der große Chor, die Jazzband, die „Lehrchen“ – der Chor der singenden Lehrer:innen (ich natürlich dabei, schwitz, der ganze englische Text, ist das heiß in diesem Saal…) und auch die Lehrerband spielte äußerst schwungvoll auf – und das, obwohl ihre superbe Leadsängerin fehlte. Der Applaus sprach Bände.

Als Mutter und Lehrerin (mit eigenen Tutand:innen wohlgemerkt) saß ich also in der Mitte von all dem, leicht übernächtigt, ein bisschen überfordert, weil ich die gute Kamera für diesen Bericht vergessen hatte – aber vor allem glücklich. Gute Bilder gehen auch ohne gute Kamera, oder? Aber der Herr Nehmeth ist gerade schon arg weit weg, schnell mal rüber… Was für eine Schule, was für ein Miteinander! So viele Gruppen hatten sich beteiligt, von den Jüngsten bis zu den Dienstältesten. Es war, als hätte sich die ganze Schule zusammengerauft, um diesen Jahrgang ein letztes Mal zu feiern – und ihm eine Bühne zu bauen, die er sich verdient hatte.

Und verdient hatten sie es alle, diese 139 jungen Erwachsenen, die nun spätestens in zwei Stunden ihr Abitur in der Hand halten sollten – neun davon sogar mit der Traumnote 1,0. (Chapeau!) Und natürlich waren auch ein paar nicht bestandene Prüfungen dabei.

Besondere Leistungen wurden mit Sonderpreisen geehrt: in Philosophie, Geschichte, Chemie, Biologie, Physik, Mathe und Informatik. Und es gab zweimal den „Super Hummi“ für besonderes Engagement über die Schulgrenzen hinaus. Siyar Isik bekam ihn für sein außerordentliches Engagement als Schülersprecher und Nicola von Orlow für ihr künstlerisches Wirken– zwei, die den Geist der Schule in den letzten Jahren mitgeprägt haben.

Die Reden? Auf den Punkt.

Herr Nehmeth sprach eindringlich über das, was Reife wirklich bedeutet: Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für die Welt, sondern auch für sich selbst. Er sprach als Lehrer und Rockstar, aber auch als Mensch, der selbst eine Weile gebraucht hat diese Erkenntnis ganz zu verstehen, weil „wegsehen und wegrennen einfacher ist“. Es war ein ehrlicher, kluger und sehr persönlicher Impuls.

Schulleiter Herr Roth knüpfte daran an und sprach vom „demütigen Mut“, der mehr verlangt als Lautstärke und Durchsetzungskraft. Es geht, so seine Botschaft, um das Eintreten für das Richtige – auch wenn es schwerfällt. Um das Zuhören. Um das mutige Schweigen.
„Ihr werdet in Situationen kommen, in denen Euer demütiger Mut gefragt ist. Ich wünsche mir, dass Ihr dann auch an Erfahrungen an dieser Schule denkt, Euch im wahrsten Sinne des Wortes ermutigt fühlt.“

Und zuallererst stand da Siyar Isik, unser toller Schülersprecher – und rührte uns an.
Seine Abschlussrede war eine Hommage an seinen Jahrgang, an Freundschaft, Zusammenhalt und echte Menschlichkeit. Kein Pathos, kein Kitsch – dafür ein Satz, den man sich merken kann: „Versucht nicht, etwas Großes zu werden. Versucht, ein Mensch zu werden.“
Mit diesen vielen Klängen und gedanklichen Impulsen im Ohr wurden die lang ersehnten Abiturzeugnisse überreicht, jedes persönlich durch uns Tutand:innen, mit weißer Rose, nein, rot war sie, Gratulationen, unter begeistertem Applaus!

Raus hier!

Nach dem schwer zu fotografierenden sogenannten „Großen Gruppenbild mit 139 Abiturient:innen, 139 Zeugnismappen und 139 Rosen“ verließ eine Riesencrowd den brütend heißen Festsaal – die Jubilant:innen froh sich endlich den Gratulationen, bunten Sträußen, einem Gläschen Schampus und den obligatorischen Fotoshootings auf der eleganten 50er-Jahre-Treppe hingeben zu können - und ich mit dem leisen Wunsch, dass all diese jungen Menschen sich eines Tages daran erinnern werden, wie sie an diesem Abend gefeiert wurden. Von ihrer Schule. Von uns allen.

Und ich?

… bin jetzt offiziell durch mit dem Abitur – als Mutter, als Lehrerin, Motivatorin, Teilzeit-Coach und Redakteurin. Aber dieser Abend? Der hat mich wieder daran erinnert, warum all das trotz aller Erschöpfung Sinn macht. Denn es gibt sie noch – diese besonderen Momente, in denen Schule nicht nur Bildung bedeutet, sondern echtes Miteinander.

Susanne Lee Timm